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Auch Thomas Wessinghage ist mitgelaufen. |
Die Landebahn des Militärflughafens in Jagel. Wenn man sie in "Google Earth" betrachtet, ist es ein fetter grauer Strich schräg über die ansonsten grüne Landschaft. Wie eine Narbe sieht das aus. Für mich am späten Vormittag des 31. Mai 2008 war es etwas ganz Anderes: Eine riesige Fläche aus Beton, deren Ende in der Ferne im Hitzeflirren verschwand. So muß sich ein Käfer fühlen, der über eine der vielen geteerten Wirtschaftsstraßen im Kieler Umland krabbelt. In der Ferne sah ich den ein oder anderen Mitkäfer (bzw. Mitläufer), der sich verloren gegen den sehr kräftigen und viel zu warmen Gegenwind stemmte. Dieser Wind konnte sich frei entfalten, weil nichts, aber auch wirklich gar nichts ihn daran hinderte zu wehen. Die Landebahn war platt. Die Wiesen drumherum waren platt. Der Wind riß förmlich die Kraft aus den Körpern heraus. Vier Kilometer lang dauerte es, die Landebahn zu durchlaufen. Das wußte ich vorher aber nicht, und es erschien mir endlos.
Und dazu kam noch ein grauenvolles Mißverständnis. Dazu muß man wissen, daß bei dem Lauf zwischen den Meeren nicht jeder km ausgeschildert ist. Es gibt nur zwei Typen von Schildern: "5 km" und "Noch 1 km". Mitten auf der Landebahn sah ich das Schild "5 km" und dachte in meinem Tran (ich war bereits 13 km ohne Wasser in der Hitze gelaufen), es würde "Noch 5 km" anstatt "Bereits 5 km gelaufen" bedeuten. Das hätte geheißen, daß ich zwei Kilometer länger als geplant hätte laufen müssen - noch mehr Landebahn. Da brach ich richtig ein. Man sieht es sehr schön an den Zwischenzeiten. Kilometer 12 noch in anständigen 4:15 min, Kilometer 13 in 4:35 min, was sich dann bis Kilometer 15 auf 4:47 min absenkte.
Das war das Schlußstück meiner Doppeletappe im Rahmen des "Laufs zwischen den Meeren" - ein Staffellauf über 91 km, aufgeteilt in 10 Etappen von Husum nach Damp, die auf mindestens fünf Läuferinnen und Läufer pro Staffel aufgeteilt werden mußten. Neu war dieses Jahr ein Städtewettbewerb. An ihm konnten Teams teilnehmen, die sich aus städtischen Beschäftigten zusammensetzen mußten. In diesem Städtewettbewerb gab es für die schnellste Staffel 5.000 Euro für ein soziales Projekt in der siegreichen Stadt zu gewinnen.
Unter den 259 Staffeln, die an dem Lauf zwischen den Meeren teilnahmen, waren daher auch sechs Teams aus Neumünster, Eckernförde, Husum, Wedel, Eutin - und Kiel. Acht Beamte und Angestellte liefen für die Kieler Staffel. Die Stadt war so großzügig, die Startgebühren und die Fahrt hin und zurück zu bezahlen. Außerdem stiftete sie für jeden ein Laufshirt mit Kiel-Aufdruck.
Das größte Opfer - zumindest für diejenigen, die im Großraumtaxi von Kiel nach Damp fuhren - war das frühe Aufstehen. Um 5:30 Uhr mußten wir vom Parkplatz Waisenhofstraße hinterm Rathaus aufbrechen, um Damp rechtzeitig zu erreichen, denn von Damp mußten noch die unterschiedlichen Startorte der einzelnen Staffelläufer angefahren werden (das organisierte der Veranstalter). Das hatten wir dem Taxiunternehmen auch so mitgeteilt. Um 5:30 Uhr war vom Taxifahrer noch nichts zu sehen. Gegen 5:50 Uhr merkten wir dann, daß das Taxi schon da war. An der Ecke Waisenhofstraße/Rathausstraße stand nämlich ein korpulenter kleiner Mann, der seinem Handy zuhörte und ein bißchen ratlos wirkte. Nur hielt das Taxi eben nicht auf dem Parkplatz Waisenhofstraße, sondern irgendwo anders - jedenfalls deutlich außerhalb jeder Sichtweite. Vermutlich hat der Taxifahrer auf eine Art Magnetismus vertraut, der die Fahrgäste schon in die Richtung ziehen wird, wo das Taxi wartet. Es ging aber noch gerade gut: tatsächlich schaffte der Fahrer es, Damp und die Stelle mit dem Busshuttle des Veranstalters genau um 6:30 Uhr zu erreichen.
Am frühen Morgen kündigte sich bereits an, was dann auch eintrat: schönes Wetter. Gegen schönes Wetter ist eigentlich nicht viel zu sagen, wenn man im Garten auf der Liege den Tag genießen und abends grillen will. Als Läuferin bzw. Läufer sieht man das zumindest im Wettkampf anders. So auch heute. Es wurde nämlich nicht nur schön, sondern auch mordsmäßig heiß. Und das hat einigen von uns zu schaffen gemacht. Ein Kollege hatte zusätzlich noch mit einer Blase zu kämpfen, die er schon vor Beginn seiner Teilstrecke hatte. Hinterher war die Blase weg - stattdessen watete er mit seiner einen Hacke in seinem Blut. Für dessen Verdunstungskälte konnte man als Läufer bei diesem Wetter dankbar sein. Ein anderer Kollege hatte das Teilstück mit den Treppen erwischt. Rennen in der Hitze ist anstrengend. Steigungen rennen ist noch anstrengender. Treppen aufwärts rennen ist eine weitere Steigerung. Aber so richtig scheußlich ist es, Treppen bergab zu rennen.
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Wenige Sekunden später wird unser
Schlußläufer kurzzeitig zusammenbrechen. Wie es sich gehört, selbstverständlich erst, nachdem die Zeit genommen worden ist. |
Wie die Zeiten der anderen auch - vor allem, wenn man die Umstände bedenkt, die allen anderen auch zu schaffen machten. Wie prima die Zeiten waren, stellten wir dann im Ziel fest. Wir waren nämlich die erste Städtemannschaft (Gesamtzeit für die 91 km: 7:02:25 Stunden) und zwar mit großem Abstand. Neumünster, das zweitplazierte Team, lag deutlich mehr als eine Stunde hinter uns. Dabeisein ist alles, sagt man bekanntlich. Gewinnen macht aber alles noch schöner.
Unser Bürgermeister - den wir übrigens nicht aus Statusgründen mitnahmen, sondern schlicht deswegen, weil er schnell laufen kann - durfte dann am Abend einen großen Pokal und einen 5000-Euro-Scheck in Empfang nehmen. Das Geld erhält das kommende Projekt "Kids in die Clubs", das Kindern aus benachteiligten Familien die Mitgliedschaft in einem Sportverein erleichtern soll.
Die Organisation der Veranstalter des Staffellaufs war nicht perfekt, das will ich nicht verschweigen. Das Schlimmste war, daß es auf der Strecke keine Wasserstellen gab. Für Läufer wie mich, die zwei Etappen laufen mußten, bedeutete das, daß trotz der gewaltigen Hitze wasserlos zu laufen war. Normalerweise sind 17 km ohne Wasser kein Problem, aber bei dem Wetter habe auch ich das gemerkt.
Eher erheiternd war dagegen die Buspanne. Jedenfalls für die Passagiere, für den Fahrer wohl weniger. Der Bus für die Rückfahrt nämlich schob sich langsam durch bewohnte Straßen zum nächsten Wechselpunkt in Fahrdorf. Nun ist zwar das Wesen des Autos das Fahren und nicht das Herumstehen (dafür hat man schließlich Häuser), aber dennoch ist das Problem selbst in dem kleinen Flecken Fahrdorf, daß Autofahrer die Angewohnheit haben, alles vollzuparken. Der Bus schob sich immer weiter durch die vollgeparkte Straße. Wir waren voll Bewunderung, wie er den Bus mit Zentimeterabstand an Rückspiegeln und Kotflügel der links und rechts parkenden Autos vorbeimogelte, aber dann passierte es doch. Sozusagen mit der rechten Pobacke erwischte der Bus das Vorderteil eines Autos. Und nichts ging mehr, weder zurück noch vor.
Es war nur mittelgut, Fahrdorf so anzufahren und nicht einfach den Haltepunkt etwas entfernt auf der Durchfahrtsstraße einzurichten. Da mußte der arme Busfahrer ein bißchen Fehlplanung ausbaden. Der nächste, der uns dann fuhr (wir Passagiere hatten das Privileg, einfach umsteigen zu können), machte es auch schlauer. Wenn ihm die Straßen zu unübersichtlich erschienen, fuhr er einfach weiter.
Insgesamt war das aus meiner Sicht eine tolle Sache - trotz oder vielleicht auch gerade wegen der verschiedenen Schwierigkeiten, die im Vorfeld und während der Veranstaltung zu überwinden waren. Jedenfalls ist schon jetzt das Grauen von Jagel verblasst - übriggeblieben ist nur die Erinnerung an eine völlig fremdartige Szenerie, in der ich sozusagen als Zwerg über eine Straße für Riesen lief. Ob ich das allerdings wieder laufen würde, weiß ich noch nicht. Es war sehr viel Aufwand für relativ wenig Laufen. Sich als Einzelläufer z. B. in Gettorf anmelden und 10 Meilen rennen, ohne Abstimmungs- und Transportprobleme, das hat auch etwas. Zumindest Wasserstellen.